Kann der wissenschaftliche Diskurs den medialen beeinflussen?
Medienethik als "Reflexionstheorie von Moral" (Luhmann 1993) stellt ethische Forderungen an den Journalismus, insbesondere in online-basierten medialen Räumen (vgl. Debatin 2004: 87). Dass sich die dort aktiven BürgerjournalistInnen offenbar nicht an professionelle Standards des Journalismus gebunden fühlen (wollen), ist der Prävention und Intervention medialer Vorverurteilung im Online-Zeitalter kaum zuträglich - auch nicht, dass verschiedene Bereichsethiken so zusammenfallen, dass kaum mehr klar ist, wer für die Reflexion der Moral eigentlich gerade zuständig ist (vgl. hierzu Beck 2010: 142ff., 146). Welche praktische Funktion vermag Medienethik zu erfüllen, wenn sie doch mit ihren wissenschaftlichen Fachartikeln üblicherweise im eigenen Saft schwimmt? Ein Ausbruchsversuch ins digitale Zeitalter.
Ziele der Medienethik und die Einlösung der eigenen Ansprüche?
Woran (nicht nur sozial-)wissenschaftliche Disziplinen im Allgemeinen kranken, ist letztlich das mangelnde Vermögen, ein breites Publikum zu erreichen - insofern teilt sie mit (Bürger-) JournalistInnen ein ähnliches Schicksal, nämlich den Kampf um Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit (vgl. etwa Neuberger / Quandt 2010: 69). Oder wird Medienethik doch nicht nur von MedienphilosophInnen rezipiert, wie man es annehmen könnte? Diese hat das Ziel, ihren Standort zu sichern, Medienordnungspolitik zu begründen und Medienkompetenz zu fördern (vgl. Funiok / Schmälzle 1999: 15, 20). Dass Letztere Grundvoraussetzung dafür ist, der medialen Vorverurteilung entgegenzuwirken, wurde bereits im vorherigen Post zu Netzöffentlichkeit(en) dargelegt. Kann Medienethik ihren eigenen Ansprüchen genügen, indem sie im Prinzip nur theoretische Abhandlungen verfasst, die insofern keinen praktischen Nutzen haben, als dass sie sich zwar auf das digitale Zeitalter beziehen (wie Beck 2010), aber im Grunde nicht mit den digitalen AkteurInnen interagiert? Ethik befasst sich so mit institutionalisierten Kommunikationsprozessen im öffentlichen Raum (vgl. Lesch 1999: 56). Es ist an der Zeit, daran auch teilzunehmen...
Von der Reflexionstheorie zur praktischen Anteilnahme am Diskurs
Auch Medienethik als "ethische Reflexion der Handlungsnormen im Bereich der medienvermittelten Information und Kommunikation" (Funiok / Schmälzle 1999: 20) ist durchaus dazu im Stande, Optionen der digitalen Öffentlichkeit(en) für sich zu beanspruchen und die Enge des rein wissenschaftlichen Diskurses zu verlassen. Dies ist anzuraten, ist es doch ihr erklärtes Anliegen, NutzerInnen müsse - etwa angesichts journalistischen Handelns - Medienkompetenz und somit auch ethische Urteilsfähigkeit vermittelt werden (vgl. Funiok / Schmälzle 1999: 21f.). Wie sollte dies besser gelingen, als sich direkt in web 2.0-basierten Räumen zu bewegen? So begab sich Markus Schächter, seines Zeichens ehemaliger Intendant des ZDF, seit 2004 Professor für Medientheorie und Medienpraxis an der Hochschule in Hamburg und seit diesem Jahr in München, vom theoretischen in das reale Leben des Informationszeitalters: zum Gespräch der Woche vom Münchner Kirchenradio Podcast auf podcast.de:
Markus Schächter über Medienethik: Medienwelt muss neu vermessen werden
Schächter legitimiert seinen mit errichteten Lehrstuhl für Medienethik in München mit der Begründung, dass Journalismus in der seit zehn Jahren zunehmend digitalisierten Medienwelt (und ihrer "zerstörerischen Innovationskraft") nur vor dem Hintergrund gelingender Demokratie - nämlich durch das Einbeziehen der Meinungsvielfalt - realisiert werden könne. Dieses Erfordernis via Podcasting zu verbreiten, scheint ein logischer Schritt in Richtung Einlösung dessen zu sein, dass nebst philosophischer Bereichsethik (Funiok 2005) auch Lebenswirklichkeiten betrachtet werden sollen: und zwar des Web 2.0 als gegenwärtiges "Medium der Zukunft". Für Schächter (als Web 2.0-Freund) mag gewiss von Vorteil sein, dass er als ehemaliger Intendant überdies vom journalistischen Fach ist und sich die Frage zur Zukunft des Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt stellt (vgl. auch Pürer 2003): Es fällt etwa das Stichwort "Algorithmenethik" - die das journalistische Problem des von Google monopolisierten Wissensmanagements reflektiert. Daneben spricht er den "Turbo-Journalismus" an - die Hetzjagd um Aufmerksamkeit aufgrund des Aktualitätsdrucks (vgl. Pürer 2003: 126). Das medienethische, auf der Meta-Ebene via Podcast für die Netzöffentlichkeit(en) veröffentlichte Gespräch endet mit der Abgrenzung des Münchner Lehrstuhls von jeglicher Einmischung in konkrete Sachverhalte. Aufgabe sei die Beschreibung "guter Voraussetzungen" für Journalismus.
Vermag das 25-minütige Gespräch damit mehr zu erreichen als die eigentliche medienethische Arbeit?
Hört zum ersten Post ("Für Shavan ist der Schaden angerichtet") meines Blogs auch diesen Podcast an:
Gemessen am eigenen Maßstab Annette Schavan und der Plagiats-Vorwurf
Literatur
- Beck, Klaus (2010): Ethik der Online-Kommunikation. In: Ders./Schweiger, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Onlineforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 130-155.
- Debatin, Bernhard (2004): Ethik des Online-Journalismus – Medienethische Kriterien und Perspektiven. In: Beck, Klaus /Wolfgang Schweiger/Werner Wirth (Hrsg.): Gute Seiten – Schlechte Seiten: Qualität in der Online-Kommunikation. München: Reinhard Fischer 2004, S. 80-99.
- Funiok, Rüdiger (2005): Medienethik. In: Hüther, Jürgen / Schorb, Bernd (Hrsg.): Grundbegriffe Medienpädagogik. 4., vollständig neu konzipierte Auflage. München: Kopäd, S. 243-251.
- Funiok, Rüdiger / Schmälzle, Udo F. (1999): Medienethik vor neuen Herausforderungen. In: Funiok, Rüdiger / Schmälzle, Udo F. / Werth, Chrisoph H. (Hrsg.): Medienethik − die Frage der Verantwortung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 15-31.
- Lesch, Walter (1999): Die schwierige Kunst der Trennung zwischen dem Öffentlichen und Privaten. Zur medienethischen Bedeutung einer grundlegenden Unterscheidung. In: Funiok, Rüdiger / Schmälzle, Udo F. / Werth, Christoph H. (Hrsg.):Medienethik – die Frage der Verantwortung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 56-74.
- Luhmann, Niklas (1993): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 3. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Neuberger, Christoph / Quandt, Thorsten (2010): Internet-Journalismus: Vom traditionellen Gatekeeping zum partizipativen Journalismus? In: Schweiger, Wolfgang / Beck, Klaus (Hrsg.): Handbuch Online-Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 59-79.
- Pürer, Heinz (2003): Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ein Handbuch. Konstanz: UTB.
- Podcast.de. dradio.de - Zur Diskussion. "Gemessen am eigenen Maßstab Annette Schavan und der Plagiats-Vorwurf" vom 17.10.12 [zuletzt geprüft: 07.01.2013].
- Podcast.de. Münchner Kirchenradio - Gespräch der Woche. "Markus Schächter über Medienethik: Medienwelt muss neu vermessen werden" vom 20.11.12 [zuletzt geprüft: 07.01.2013].